Caleb Azumah Nelson „Open Water“/“Freischwimmen“

„Open Water“ – in der deutschen Übersetzung „Freischwimmen“ – so der Titel von Caleb Azumah Nelsons Debütroman, der Geschichte einer aufkeimenden Liebe, in die bald schon die Realität von Diskriminierung und Rassismus eindringt, so Festivalleiterin Anne Zauner in ihren einleitenden Worten, ein Buch als Dialog, ein Buch mit besonderem Rhythmus – so Kulturjournalist und Kritiker Florian Baranyi, der mit Azumah Nelson das Gespräch auf Englisch führt.

„Space“ wird darin eines eines der meistbenutzen Wörter sein, das Motiv des Raums bildet den roten Faden von Azumah Nelsons Ausführungen zum Schreiben und zum Leben. Ein namenloser Schwarzer Fotograf und eine namenlose Schwarze Tänzerin in London sind die Figuren des fast durchgängig in Du-Perspektive geschriebenen Romans. Um eben solche Räume gehe es: der Raum, den zwei Menschen zwischen einander erschaffen, um darin geborgen und aufrichtig sein zu können, um Freiheit zu finden. Der Schreibtisch, das Filmset, jeder Ort kreativer Entfaltung sei ebenfalls ein solcher space, ein Stück errungener freier Platz. Die äußere Welt rücke dort ein Stück weg, werde ruhiger. Oder dieses eine Lokal in Südostlondon, ein wichtiger Ort für die dortige Jazzszene, ein Raum mit „schwitzenden Wänden“ und zum Bersten voll, wie Azumah Nelson eindringlich beschreibt.

Musik ist wesentlich. Einerseits die Musik im Kopf beim Verfassen der Sätze, der Rhythmus der Sprache selbst, andererseits hat Musik einen ganz expliziten Platz in der Narration. Das Buch lese sich wie ein Mixtape, stellt Baranyi fest, ja, es sei geradezu ein Archiv Schwarzer Musik, so Azumah Nelson selbst. An dieser Stelle sei auf die offizielle Playlist zum Buch verwiesen, die auch der Autor im Gespräch erwähnt – Lizzo, Erykah Badu oder A Tribe Called Quest finden sich darin.

Letztere tauchen in einem der Romanauszüge auf, die Azumah Nelson im Zuge des Gesprächs vorträgt. Der Text hebt an mit der Beschreibung eines Fotos, versehentlich aufgenommen – ein Basketball in der Sonne im Moment, da er die Wurfhand verlässt; mehrere Gesichter drumherum, deren Augen angespannt seiner Bahn folgen; später sind es die Bahnen der Blicke zweier Menschen, die sich treffen, über zwanzig, dreißig Meter Entfernung in einer Menge vom Bass bewegter, wabernder Körper. Zwischen beiden Szenen läuft A Tribe Called Quest nebenbei am Computer. Es sei kein wütendes Album, so der Dichter und Kritiker Hanif Abdurraq, dessen Stimme Azumah Nelsen in seine Erzählung hereinholt, und der über die Blicke und das Schwarzsein sagte – ewig gesehen und nicht gesehen werden, eben das sei das Schwarze Schicksal – und so wird der Bogen beider Szenen geschlossen.

Es geht bei Azumah Nelsons Buch vor allem um die spezifisch Schwarze Erfahrung der Invasion dieser Freiräume, um all die Irritationen und Unterbrechungen des Glaubens, den es braucht, um einen solchen Raum aufrecht zu erhalten, und um eben diese Ambivalenz: Zu viel gesehen und zugleich übersehen zu werden. Es gebe gewisse Stereotype, wie junge Männer, die aussehen wie er, sich verhalten, so Azumah Nelson im Gespräch mit Baranyi. Meist zwischen dem elften und vierzehnten Lebensjahr würden diese wirksam und spürbar; gewisse Autoritäten verändern ihre Haltung, beginnen einen als jungen Schwarzen Mann anders zu sehen.

Trotz all dem ist da wenig Wut. Azumah Nelson spricht sanft, voll kindness möchte man sagen (mir scheint, für dieses Wort gibt es keine gute Übersetzung), er schafft es, auch aus dem Literaturhaus für eine Stunde eben einen solchen Platz zu machen, einen Ort aufrichtiger Begegnung, in dem das Publikum unmittelbar teilhaben kann an all den Hintergründen und Erfahrungen, die in das Buch mit einflossen. Caleb Azumah Nelson ist Brite, ein eingefleischter Bewohner Südostlondons. Seine Eltern stammen aus Ghana, einem Land, zu dem er sein eigenes Verhältnis erst noch finden muss. Es sei nicht seine Heimat, dennoch beeinflusse es, wie er sieht und empfindet, so Azumah Nelson. Beide Orte, Ghana wie London, spielen eine Rolle, sind Perspektiven seines Schreibens.

Auch über das Auf und Ab der Entstehung des Buches erfährt das Publikum. Es waren sehr persönliche Essays, die nicht für die Veröffentlichung gedacht waren, auf Grundlage derer eine Literaturagentin Azumah Nelson dazu anhielt, einen Roman zu schreiben. Um vier Uhr früh stand er auf, um vor seiner Schicht als Verkäufer in einem Shop am Text zu arbeiten. Wie in einem Fieberschub schrieb er sein Manuskript in sechs Wochen fertig, hielt es für abgeschlossen und verreiste erstmal, nur um bei seiner Rückkehr von seiner Agentin zurück an den Start geschickt zu werden. Im zweiten Anlauf funktionierte der Text jedoch und Azumah Nelson kündigte seinen Job. Mittlerweile arbeitet er an seinem zweiten Roman über einen jungen Jazzmusiker.