Wie schon 2013, als Scott McCloud erstmals zu Gast beim Erich-Fried-Festival war, reichte die Schlange jener, die von McCloud oder Bastien Vivès ein Autogramm wollten, beinah bis auf die Straße – die Begeisterung der hiesigen Graphic Novel Szene hält ungebrochen an. Vor vollem Haus gab auch Craig Thompson im Gespräch mit Florian Höllerer Beweg- und Hintergründe zu seinen Bänden Blankets und Habibi preis – Werke über Liebe, Verlangen und besonders über Einsamkeit, Werke wiederum, die für Thompson selbst „therapy in real-time“ sind, aber: „It doesn‘t necessary fix anything.“
Zur Darlegung seiner Arbeitsweise verwies er auf Hanif Kureishi: Das libidinöse Schreiben, von dem Kureishi sprach, bedeute in seinem Fall ein äußerst sinnliches Zeichnen. Jedes Detail etwa des an Details nicht armen, u. a. die arabische Schriftkunst adaptierenden Bandes Habibi schuf er per Hand, ein meditatives, exaktes Arbeiten, das erst im finalen Schritt auf die Unterstützung durch einen Computer zurückgriff. Saskia Boddeke zeigte in The Greenaway Alphabet konzeptuell, wie Buchstabe für Buchstabe ein eigener Kosmos erwächst, Thompson wiederum nimmt diese Herangehensweise beim Wort und arbeitet Strich um Strich an seinen Geschichten. Er erzählte von den verschiedenen Quellen, denen er sich als Inspiration bedient; als Material dienen beispielsweise die Gedichte eines persischen Dichters, der einer tückischen Lähmung zum Opfer fiel und in den Jahren vor seinem frühen Tod, als die Krankheit schleichend voranschritt, ergreifend ironische Gedichte verfasste. Eines davon – über ein Gewitter im Irak, darin verwoben die Geschichte der Mutter – findet sich in Form stilisierter Regentropfen in Habibi wieder; eine Hinwendung an noch die unscheinbarste Facette, die jedes Panel dieser Graphic Novel zu etwas Besonderem macht. Thompson brachte das Handwerkliche zur Sprache: er zeichne jeden Tag, befinde sich immer im Prozess, da er ansonsten die aufgrund dieser Disziplin erhaltenen Fähigkeiten verliere. It fixes nothing, but it helps me to cope: die künstlerische Arbeit ist ihm eine Art von Heilung; momentan, so viel wollte er verraten, arbeite er an einer Graphic Novel zu traditioneller chinesischer Medizin.
Nach Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens nun Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein: Ulli Lust breitet in ihren Graphic Novels das eigene Leben aus und redete im Literaturhaus mit Moderatorin Zita Bereuter und dem Publikum Klartext. Lust zeigt in ihrem neuesten Band eine libertinäre Herangehensweise an die Liebe, nämlich eine Menage-à-trois, die sie mit Freund und Liebhaber führte, bis diese im Grunde ansprechende Lebens- und Liebesform in Gewalt und Eifersucht verendete. Auf dem Cover des neuen Werks hätte sie gern ein vögelndes Pärchen gehabt, doch lehnte der Verleger das mit dem Hinweis ab, dass sich die Leser*innen das Buch dann nicht in der U-Bahn zu lesen trauen würden
. Damit war die Prüderie ad acta gelegt, Lust zeigte im Gespräch wichtigere Aspekte auf als allfällige verlegerische Bedenken: Es ging um Fragen der (weiblichen) Sexualität, vor allem darum, dass Frauen von einem Begehren umgetrieben werden, dass von männlicher Seite meist negiert wird. Und es ging um den künstlerischen Zugang zu körperlicher Liebe: Ähnlich wie in der Literatur, in der sich die Darstellung von Sex als ungemein schwierig gestaltet, selten zu Begeisterung taugt, aber meist zu peinlichen Ausrutschern, brauchte auch Ulli Lust jahrelange zeichnerische Erfahrung, um einen Penis in einer Art aufs Papier zu bringen, die ihr als angebracht erscheint. Ihre Arbeit, so Lust, wird von Schuld- und Schamgefühlen angetrieben, immerhin beschäftigt sie sich mit Entscheidungen, die sie selbst vor Jahren getroffen hat und über die sie selbst hart Gericht hält. Diese ehrliche Auseinandersetzung wiederum ergibt eine Graphic Novel, die berührt und zugleich in der Darstellung der Suche nach freier Liebe und der Befriedigung von Lust (der billige Wortwitz ist nicht beabsichtigt) politisch aufgeladen ist: Man hätte mit der sexuellen Revolution ruhig noch länger experimentieren können, gab Lust zu bedenken, es sei doch schade, dass seit zwei Jahrzehnten das enge, eingeschränkte, allzu konservative Denken wieder tonangebend sei.
Denkmuster sprengend präsentierte sich der finale Akt dieses Abends: Mark Z. Danielewski, von Sebastian Fasthuber vorgestellt und Verfasser u. a. von House of Leaves – sowie Kreativkopf hinter der neuen flugschrift, die eine weitere Brücke zum aktuellen Mammutprojekt schlägt und eine Katze in ihren eigenwilligen, felidae-geprägten Nachthimmel blicken lässt. Die Liebe zu einem solchen Tier, ihr Verschwinden, und welche verworrenen Entwicklungen die Suche nimmt, unter anderem davon handelt The Familiar – ein auf 27 Bände angelegtes Werk, neuester, megalomanischer Streich Danielewskis . Im Halbjahrestakt sind bisher fünf Bände erschienen, den Handlungsbogen bis hin zum letzten Band, der in mehr als zehn Jahren erscheinen wird, hat der US-Amerikaner im Groben bereits ausgetüftelt.
The Familiar entsteht aus kollektiver Anstrengung: Ein Team von Fans kümmert sich um Faktencheck und Vorab-Lektorat, arbeitet an der visuellen Gestaltung und hält Ausschau nach Logikfehlern (also der Logik von Danielewskis literarischem Kosmos entsprechend). Danielewski selbst arbeitet von Montag bis Samstag nach einem strengen Ablauf: Aufstehen um 05:20, Yoga oder Gym, ein gesundes Frühstück, mehrere Stunden Textarbeit – Kureishis Hinweis auf die abgekapselte, im Grunde langweilige und bis auf die eigenen Ideen jeglicher Abwechslung beraubte Existenz schreibender Menschen, erhielt in dieser Herangehensweise eine weitere Steigerung. Wie allumfassend ein solches Werk sein kann, ließ die Bemerkung Danielewskis erahnen, dass jeder Einfall, der ihm kommt, in das aktuelle Projekt einfließt, und sich als Träume oder Gedanken, als Handlungen oder Entscheidungen der Charaktere wiederfindet. The Familiar: eine alles schluckende Obsession.