Saskia Boddeke • The Greenaway Alphabet / Peter Greenaway • Goltzius & The Pelican Company

Nach Jeannette Wintersons fulminantem Auftakt in Form einer Rede, die vor vollbesetztem Haus keinen Zweifel ließ am Esprit dieser Autorin, fand der zweite Festivaltag eine ähnlich mitreißende Fortführung. Im Filmcasino stand Leben und Werk Peter Greenaways auf dem Programm; zwar war der Regisseur und multimedial versierte Künstler wegen Dreharbeiten in Italien verhindert, seine Frau Saskia Boddeke jedoch vertrat ihn nicht nur, sondern bot Gelegenheit, eine Künstlerin mit ganz eigener Vision kennenzulernen.

Boddeke brachte The Greenaway Alphabet mit, ihren jüngsten Dokumentarfilm (wiewohl sie sich diese schubladisierende Bezeichnung verbietet), darin zu sehen: Peter in Gespräch, Streit und Aktion mit Tochter Pip (die über die Drehzeit von zwei Jahren zu einem starken Charakter wuchs, eine Entwicklung, die aufmerksamen Zuseher*innen nicht entgeht). Der Film, der Vater und Kind von A wie Alphabet und D wie Death über L wie Light etc. markante Begriffe des Greenaway-Kosmos diskutieren lässt, während die Mutter hinter der Kamera dirigiert, ist ein beeindruckendes Zeugnis dreier Künstlerleben. Greenaway zeigt sich als dauernd schaffender, ideen-getriebener und nicht unbedingt leicht zu handhabender Mensch, der in Tochter und Ehefrau seine Liebes- und Widerparts findet – und etwa dreimal die Woche von Alpträumen geplagt wird, die meist vom Ertrinken handeln, ein Leiden, das als wiederkehrendes Motiv von Wasser ins Alphabet eingeht. Es hätte auch ein Film über die Streits sein können, die diese Familie umtreiben, so Boddeke im nachfolgenden Gespräch mit Thomas Ballhausen

. Da Peter Greenaway redet und redet (Zitat Boddeke) und die Regisseurin während der Aufnahmen ständig kritisierte und befragte, stand während der Dreharbeiten der Haussegen ebenso zur Diskussion; der Umstand, dass Greenaway sein offenes, seit den 1980ern erprobtes Arbeitskonzept, das auf Improvisation, ja Unberechenbarkeit basiert, ebenso privat praktiziert, tat ein Übriges, um die Filmarbeit manchmal zur Bewährungsprobe werden zu lassen.

Wie lässt sich Liebe ausdrücken und darstellen? Die Liebe eines Paares, das sich seit Jahren in allen Facetten kennt und ein Kind, ein Leben teilt? In den Bildern, den Details, der Zeit, die Boddeke ihrem Mann gibt, im Raum, dem sie ihm zugesteht, ohne von ihrem eigenen künstlerischen Anspruch abzuweichen, finden sich unzählige zärtliche Antworten auf diese Fragen. The Greenaway Alphabet dreht sich um Leben, Liebe, Kunst; ein Dreigespann, das als Österreich-Premiere auch Greenaways Golztius & The Pelican Company umtreibt. Der 2012 gedrehte Film handelt von den Versuchen des niederländischen Malers und Kupferstechers Hendrick Goltzius, den elsässischen Markgrafen von Colmar als Mäzen zu begeistern. Goltzius und sein Theaterverband wollen den Adligen und seinen misstrauischen, bigotten Hof durch ihr Spiel beeindrucken – sieben Aufführungen zu sieben biblischen Sündenfällen, von Lots Inzest mit seinen beiden Töchtern über die Verführung Bathshebas durch David bis hin zu Delilas Verrat an Samson.

Künstlerisch gekonnt, erzählerisch gewagt und lustvoll bis in die einzelne Sekunde, seziert Goltzius bzw. Greenaway, nicht nur das amourös-skandalöse Potential gewisser Bibelgeschichten, sondern schafft es, dieses Potential auf die Darsteller zu übertragen, die sexuellen Nöte und Malheure der biblischen Vorgänger in jene zu transformieren, die damit zum eigenen Vorteil zu spielen gedenken. Wie hier alles aufs Begehren zurückgeführt wird, nach materiellen Dingen, nach Status oder anderen Körpern, wie alle getrieben sind und letztlich die Wörter cunt und prick übers Schicksal entscheiden, und dabei Kunst und Körper ein sinnliches Neues kreieren, das ist schlichtweg beeindruckend (man ist versucht zu schreiben „großes Kino“) . Es ist durchdrungen von Lust – am fremden Körper und am eigenen, am Voyeurismus und am Schauspiel, an der Entgrenzung und an barocker Opulenz.

Als Antrieb für ein solches Werk mag gelten, womit Saskia Boddeke The Greenaway Alphabet auf das Wesentliche runterbrach: I tried to make a portrait of love.