Tag 3
Donnerstag, 28. November 2019
Die einzige übernatürliche Erfahrung in seiner Umgebung habe er verschlafen, berichtet uns John Connolly am Beginn seiner Rede. Der Bestsellerautor kombiniert Krimi mit übernatürlichen Kräften und erzählt, wie einst das ohrenbetäubende Schnarchen („snoring on an industrial level“) des Vaters, der eigentlich tot und aufgebahrt in der Kirche nebenan lag, ohne erkennbare Quelle die Wände zittern ließ und die Großfamilie aus dem Schlaf schreckte, die die Nacht vor dem Begräbnis zusammen verbrachte. Bis auf Connolly selbst, der glückselig weiterschlief (allerdings ohne zu schnarchen, seine Mutter habe ihm das versichert). Ähnlich heiter und galgenhumorig fährt der charismatische irische Schriftsteller fort. Rationalität reiche nicht aus, die Seltsamkeit des Universums zu erklären. Er halte es nicht mit Max Webers Diktum der „entzauberten Welt“, sondern lieber mit Fitzgeralds Definition von Intelligenz als der Fähigkeit, zwei gegensätzliche Ideen gleichzeitig im Geiste zu tragen und trotzdem zu funktionieren. Also rational und irrational zugleich sein können, eine besonders irische Eigenschaft, so Connolly
. Die Angst vor dem Unbekannten als die Urangst schlechthin, fährt Connolly Lovecraft frei zitierend fort und erzählt von sich selbst als sehr furchtsamem Kind, das in den Wesen und Gestalten des Horror- und Mystery-Genres und später im eigenen Schreiben ein Ventil sowie eine konkrete Form für die eigene unheimliche und unbestimmte Angst fand. Angst sei ein integraler Bestandteil des Menschseins, Leben bedeute auch, zu leiden, und der tiefste Horror sei der body horror, führt Connolly aus und widerspricht am Ende seiner Rede dem vormals zitierten Lovecraft: Die größten gesellschaftlichen Angstmacher der Geschichte – von atomarer Bedrohung über Terrorismus bis hin zur Klimakatastrophe – kämen letztlich von keinem unbekannten Außerhalb, sondern aus dem Inneren der Menschheit selbst. Wir selbst seien das, vor dem man die größte Angst haben sollte.
Übernatürliches sowie Horror würden in der seriösen Literatur freilich als wenig respektabel gelten, aber das kümmere ihn wenig, man müsse ja keine Erwartungen erfüllen, erklärt Connolly im anschließenden Gespräch mit dem britischen Thriller-Autor Robert Pimm. Krimi und Mystery seien einst vereint gewesen und hätten sich erst ca. in den Zwanzigern getrennt. Hierbei wird der Einfluss des Kriminalautors und Priester Ronald Knox erwähnt, der in seinen zehn Geboten der detective-fiction das Übernatürliche als unlauteres Mittel im Kriminalroman ausschloss.
Kein Glaube ans Übernatürliche sei nötig, wenn es um das Gedächtnis von Orten und Landschaften gehe – in Orten des Schreckens sei dieser Schrecken irgendwie noch gespeichert. Connolly antwortet damit auf die Frage, warum sein jüngster Roman aus der Reihe um den Ermittler Charles Parker nicht wir die vorherigen in den USA, sondern in England spiele. Das Sich-Abwechseln verschiedener Kulturen und Religionen im Laufe der Geschichte, die Kolonisierung bestehender Strukturen, die Errichtung neuer Kirchen auf den Trümmern der alten – diese aus vielen, weit zurückreichenden Schichten bestehende Kultur und Umgebung brauchte er für sein jüngstes Buch. Als weiteres Beispiel dafür, wie sehr eine bestimmte Geschichte einen bestimmten Schauplatz braucht, führt er den von ihm als größten lebenden Krimi-Autor bezeichneten James Lee Burke an. Dessen jüngstes Buch spielt in Louisiana. Burkes Thema ist die Korruption – auch die der Seele – und wenn man einmal der Hitze, dem ständigen Verrotten und den Sümpfen Louisianas begegnet, verstünde man, warum ein solches Buch dort spielen müsse.
Connolly und der Fragensteller Pimm wirken wie ein eingespieltes Paar, wie alte Freunde, die sich in einem Ballspiel gegenseitig Scherze zuwerfen. Passend dazu kommt nach einem Exkurs über Gewalt (das Schlimmste für das Publikum sei es, Hunde und Katzen zu töten, dann kämen Kinder, irgendwann Frauen und ganz am Ende die Männer; Männer könne man töten so viele man wolle, das interessiere niemanden „because that’s what men do“) und einem Plädoyer für den Krimi als Ort positiver, männlicher role-models (im Detektiv begegne man einem Menschen, der aus tiefster Überzeugung einer moralischen Verpflichtung nachgehe; Der Krimi-Autor sei somit auch die etwas subtilere, elegantere Version des Predigers) Connollys jüngstes Buch außerhalb der Parker-Reihe zur Sprache: he (2017) bzw. Stan (auf Deutsch bei Rowohlt, 2018). Hierbei geht es um Stan Laurel und seine innige Beziehung zu Oliver Hardy. Männer seien bekanntermaßen nicht gut im Ausdrücken von Gefühlen; Connolly forscht mit diesem Buch an der Männerfreundschaft, die sei von vielen Routinen, Ritualen und Gesten getragen. Gerade darum, um diesen Mangel zu kompensieren, ergänze ich beim Zuhören. Hardy starb im Alter von 65. Mit Laurel kommunizierte er, der nicht mehr sprechen konnte, gegen Ende über Gesichtsausdrücke und Gesten. Nach seinem Tod lehnte Laurel jedes Filmangebot ab. Er ging nicht mehr hinaus . Sich ohne seinen Partner sehen zu lassen war ihm unvorstellbar.