15:00 Uhr
Der gläserne Übersetzer

Im Juni 2019 lud das TOLEDO-Übersetzer/innen-Treffen JUNIVERS Lyrikübersetzer/innen aus aller Welt ins Literarische Colloquium Berlin. Auf dem Tagungsprogramm stand auch eine Werkstatt unter der Leitung des Salzburger Germanisten Wolfgang Görtschacher zu Erich Fried als Übersetzer (u. a. von Shakespeare oder Dylan Thomas) sowie die Übersetzung von Gedichten Erich Frieds, in denen Angst ein stetig wiederkehrendes Motiv ist.
Im Rahmen des Festivals knüpfen die „gläsernen“ Übersetzer/innen Ali Abdollahi (IRN), Aurélie Maurin (F), Valentina Di Rosa (I) und Arild Vange (NOR) an diese JUNIVERS-Gespräche an und bereiten den Gedichten – gemeinsam mit dem Publikum – neue Wege ins Persische, Italienische Französische und Norwegische; ergänzt um eine englische Version in der Übersetzung von Wolfgang Görtschacher und David Malcolm.
Einführung: Wolfgang Görtschacher (A)
Mit: Ali Abdollahi (IRN), Aurélie Maurin (F), Valentina Di Rosa (I), Arild Vange (Nor)
Moderation: Florian Höllerer (Leiter Literarisches Colloquium Berlin)
17:00 Uhr
Kleine Geographie der Angst
Ausstellungsbeitrag
Die österreichische Autorin Kathrin Röggla hat sich in ihrem literarischen Werk vielfach mit dem Thema Angst auseinandergesetzt. Zuletzt realisierte sie im Mai 2019 ihr Ausstellungsprojekt Der Elefant im Raum in der Akademie der Künste in Berlin – daraus nimmt sie für die Festival-Ausstellung eine akustische Phobienliste von A – Ablutophobie bis Z – Zoophobie mit. Weiters liest sie ihren neuen literarischen Text Kleine Geographie der Angst, den sie exklusiv für Wien geschrieben hat.
17:30 Uhr
Angst und Angstmache
Literarischer Prolog 1
Jörg-Uwe Albig (D): Zornfried (Klett-Cotta 2019)
Jan Brock, der Protagonist von Jörg-Uwe Albigs satirischem Roman, ist freier Reporter. Als er zufällig auf die schwülstigen Texte des rechten Gesinnungsdichters Storm Linné stößt, wittert er eine Geschichte. Jochen Schimmang urteilt in der FAZ: „Albigs Roman ist einer der wichtigsten dieses Frühjahrs. Und dazu richtig gute Literatur.“
Literarischer Prolog 2
Sherko Fatah (D/IRQ): Schwarzer September (Luchterhand 2019)
Fatah, einer der klügsten Beobachter und Deuter der Vorgänge im Nahen Osten, schreibt in seinem faktenreichen Roman über politische Ohnmacht und ideologische Gewaltbereitschaft in den 1970er-Jahren, als sich die Terrorgruppe Schwarzer September formierte, die den jordanischen Premierminister ermordete und das Münchner Olympia-Attentat verübte.
Debatte 1 – Angst und Angstmache
Die erste Debattenrunde beschäftigt sich mit den möglichen Auslösern einer Radikalisierung und den Folgen für die Gesellschaft. Es geht sowohl um die reale Bedrohung durch extrem politisierte Religionsfanatiker als auch um die wachsende Bedeutung, die den sozialen Netzwerken zukommt, und die Frage, wie sehr ihre Trollarmeen die politischen und sozioökonomischen Landschaften nachhaltig verändern.
Es diskutieren: Jörg Uwe Albig (D), die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner und Sherko Fatah (D/IRQ)
Moderation: Wolfgang Popp (Journalist und Autor)
Jörg-Uwe Albig, geb. 1960 in Bremen. Studierte Kunst und Musik in Kassel. Albig begann seine literarische Karriere als freier Journalist. Er war Redakteur beim Stern und lebte zwei Jahre als Korrespondent einer deutschen Kunstzeitschrift in Paris. Seit 1993 arbeitet er als freier Autor in Berlin. Er schreibt u. a. für GEO und das SZ Magazin. 1999 wurde sein Romandebüt Velo veröffentlicht. Es folgten die Romane Land voller Liebe (2006), Berlin Palace (2010) und Ueberdog (2013) sowie die Novelle Eine Liebe in der Steppe (2017) und zuletzt der Roman Zornfried (2019) über einen fiktiven rechtsnationalen Dichter und eine Gruppe von Neuen Rechten, der von der FAZ als „Schlüsselroman“ bezeichnet wird. 2017 war Albig für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert.
Julia Ebner, geb. 1991 in Wien. Extremismus- und Terrorismusforscherin. Seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Strategic Dialogue in London. Ebner arbeitet mit zahlreichen Regierungsorganisationen und Polizeiorganen zusammen. Sie ist Beraterin für Online Extremismus der UN, NATO und der Weltbank und schreibt regelmäßig für The Guardian und die Süddeutsche Zeitung. Ihre erste Buchveröffentlichung Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen war ein SPIEGEL-Bestseller. Soeben erschienen ist ihr neues Sachbuch Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Lebt in London. 2018 wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch – Anerkennungspreis ausgezeichnet.
Sherko Fatah, geb. 1964 in Ost-Berlin als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen. Er wuchs in der DDR auf und konnte 1975 mit seiner Familie über Wien nach West-Berlin übersiedeln. Er studierte Philosophie und Kunstgeschichte. Für sein erzählerisches Werk hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt den Großen Kunstpreis Berlin der Akademie der Künste und den Adelbert-von-Chamisso-Preis 2015, außerdem den Aspekte-Literaturpreis für den Roman Im Grenzland. Er wurde mehrfach für den Preis der Leipziger Buchmesse (2008 mit Das dunkle Schiff, 2012 mit Ein weißes Land) nominiert und mit Das dunkle Schiff auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2008 gewählt.
19:30 Uhr
Angst und Gesellschaft
Preview: Josef Haslinger (A): Mein Fall (S. Fischer, erscheint Jänner 2020)
Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös, sogar davon überzeugt, Priester werden zu wollen, er liebte die Kirche. Die kindliche Liebe wurde von den Patres missbraucht. Fünf Jahrzehnte später erzählt Josef Haslinger die Geschichte.
Impulse: Ariadne von Schirach (D): Raus aus der psychotischen Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden
Ariadne von Schirach hält einen Kurzvortrag basierend auf ihrem aktuellen Fachbuch Die psychotische Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden (Tropen 2019), einer genauen Analyse unserer ökonomisierten Gesellschaft und zugleich Plädoyer für einen anderen Umgang mit der Natur und dem Menschen.
Debatte 2 – Angst und Gesellschaft
Trotz eines beispiellosen materiellen Wohlstands und vergleichsweise sicherer Lebensbedingungen in den Industriestaaten scheinen die Menschen verunsichert, die Zukunft düster. In der zweiten Gesprächsrunde geht es um herrschende Machtverhältnisse, um Machtverschiebungen und gesellschaftlichen Wandel, um Zustandsbeschreibung und Prognose.
Es diskutieren: Josef Haslinger (A), Kathrin Röggla (A/D), Ariadne von Schirach (D)
Moderation: Günter Kaindlstorfer (Journalist und Autor)
Josef Haslinger, geb. 1955 in Zwettl/Niederösterreich. Autor und Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sein Politthriller Opernball über einen fiktiven terroristischen Anschlag auf den Wiener Opernball machte ihn 1995 international bekannt. Es folgten der Roman Das Vaterspiel (2000), die Erzählungen Zugvögel (2006) und 2007 der autobiografische Bericht Phi Phi Island über die Tsunamikatastrophe 2004 in Südost-Asien. 2011 veröffentlichte er den Roman Jáchymov, einen Tatsachenroman über einen dem kommunistischen Terror zum Opfer gefallenen Eishockey-Nationalspieler der CSSR. In dem 2020 erschienenen Werk Mein Fall berichtet Josef Haslinger von dem ihm als Kind im Sängerknabenkonvikt des Stiftes Zwettl widerfahrenen sexuellen Missbrauch und seine Anstrengungen, den Fall bei der „Unabhängigen Opferschutzkommission“ der österreichischen Bischofskonferenz vorzutragen.
Der Autor wurde vielfach ausgezeichnet: zuletzt 2017 mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien.
Kathrin Röggla, geb. 1971 in Salzburg. Nach ihrem Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Salzburg erste Veröffentlichungen ab 1990. In ihren Texten arbeitet Röggla laut eigenen Angaben häufig medienübergreifend, mit dokumentarischen Verfahren, mit den Mitteln der Komik und Ironie, experimentell und sprachkritisch sowie mit der Mündlichkeit der Schrift. Sie wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Arthur-Schnitzler-Preis (2012) oder dem „Nestroy“ für das beste Theaterstück (2011). Sie ist Mitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Akademie der Künste in Berlin, deren Vizepräsidentin sie seit 2015 ist. Lebt in Berlin.
Ariadne von Schirach, geb. 1978 in München. Studium der Philosophie, Psychologie und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ab 2000 an der Freien Universität Berlin und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ariadne von Schirach unterrichtet Philosophie und chinesisches Denken an der Berliner Universität der Künste, der HFBK in Hamburg und der Donau-Universität Krems. Sie arbeitet als freie Journalistin und Kritikerin und wurde bekannt als Autorin der Sachbuch-Bestseller Der Tanz um die Lust (2007) und Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst (2014). 2016 erschien Ich und Du und Müllers Kuh. Kleine Charakterkunde für alle, die sich und andere besser verstehen wollen. 2019 veröffentlichte Ariadne von Schirach ihr neues philosophisches Sachbuch Die psychotische Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden.
Literaturhaus Wien
Zieglergasse 26A, 1070 Wien
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