KEINE | ANGST – Rückschau 2019

Das Internationale Literaturfestival Erich Fried Tage hat es sich zur Aufgabe gemacht, wichtige internationale Literatinnen und Literaten als Gäste zu gewinnen und einem österreichischen Publikum vorzustellen. Auch in diesem Jahr konnten unter dem Motto „KEINE|ANGST. Literarische Schreckensbilder und Strategien der Angstüberwindung“ namhafte Literaturgrößen die meisten von ihnen erstmals nach Wien geholt werden: so auch die Eröffnungsrednerin • Aminatta Forna, eine preisgekrönte britische Autorin mit Wurzeln im westafrikanischen Sierra Leone, oder die bedeutende amerikanische Poetin • Claudia Rankine;  dazu kamen die Graphic Novel-„Großmeister“ (Der Standard) • Joe Sacco (USA/MLT) und • Chris Ware (USA). • Josef Haslinger las erstmals aus Mein Fall (erscheint Anfang 2020, S . Fischer), die autobiografische Geschichte über den Missbrauch durch katholische Patres. Den Erich Fried Preis hat • Christoph Hein dem Autor von Schermanns Augen, • Steffen Mensching (D), zuerkannt.

Im Folgenden finden Sie Bilder und Videos vom diesjährigen Festival sowie die Blogeinträge der beiden Festival-Autoren • Robert Prosser und • Jakob Kraner.


Nachlese:
In der Sonderausgabe der österreichischen Literaturzeitschrift kolik (Heft Nr. 80|81, 236 S., Eur 16,-) sind alle Festivalteilnehmer/innen mit eigenen Texten vertreten.

Ausstellung:
Bis zur Schließung des Literaturhauses Wien für Besucher/innen im März 2020 infolge der Corona-Pandemie konnte die Festivalausstellung „KEINE|ANGST vor der Angst“ in den Veranstaltungsräumen besucht werden. Bis Ende August 2020 ist eine virtuelle Version der Schau auf der Homepage der Erich Fried Tage zu sehen, sowie 30 kurze Videobeiträge von österreichische Autor/inn/en, die sich mit dem Ausstellungsthema vor dem Hintergrund der aktuellen krisenhaften Situation befassen.

Anmerkung: Alle Texte © bei den Autor/inn/en; alle Bildrechte bei © Lukas Dostal


Dienstag, 26. November 2019

Literaturhaus Wien Zieglergasse 26A, 1070 Wien

Festivaleröffnung | Ausstellungseröffnung
Kurzlesungen Friederike Mayröcker (A) Robert Schindel (A) | Festvortrag & Gespräch Aminatta Forna (SLE/GB)  Why the World Needs New Stories | Einleitung & Gespräch Anne Zauner (künstlerische Leitung Internationales Literaturfestival Erich Fried Tage)

Aus dem Blog von Robert Prosser: Die Aufmerksamkeit zum Reißen gespannt, die sprichwörtliche Nadel – man verzeihe dieses abgedroschene Sprachbild gleich zu Beginn – hätte man fallen hören können: Die gestrige Eröffnung des Festivals zeigte sich von seiner konzentriertesten Weise. Das zahlreich im Literaturhaus erschienene Publikum verfiel dem Sog aus Stimme, Erzählung und Vortrag; das dem so war lag ohne Zweifel an den Autor*innen, die es zu erleben gab

Mittwoch, 27. November 2019

Literaturhaus Wien Zieglergasse 26A, 1070 Wien

Die Angstmaschine
Ausstellungsbeitrag
Literarisch-musikalische Präsentation:  Rainer Merkel (D) &  Claudius Lazzeroni (D) 

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Wenn ein anderes Wesen auf weniger als eine Armlänge herankommt, ohne dass es eine ersichtliche Notwendigkeit dafür gibt, erzeuge dies Angst. So auch bei der Angstmaschine. Nähert man sich ihr, so bewegt sie sich. Sie krümmt sich, mal ängstlich ausweichend, mal attackierend, und gibt dabei unvorhersehbare Geräusche von sich. 


Buchpräsentation & Gespräch
 Dima Wannous (SYR/GB): al-Khaifoun (dt. Die Verängstigten, Übersetzerin: Larissa Bender, Karl Blessing 2018)
Moderation:  Peter Zimmermann (Journalist und Autor)

Lesung auf Arabisch mit deutscher Übersetzung als Projektion auf Leinwand | Gesprächsdolmetscherin: Magda Assem

Aus dem Blog von Robert Prosser:  Dass das Nicht-Aussprechen-Dürfen gewaltvoller Erfahrungen die syrische Gesellschaft durchzieht, belegt Die Verängstigten, bzw. der von Nassim verfasste Roman im Buch, auf eindrückliche Weise. Der Roman zeigt die Mechanismen, mithilfe derer das Regime bis in das Innerste einzelner Familien vordringt, und durch die schleichende Angst vor Spitzel, Anklage und Folter eine Gesellschaft aushöhlt.


Multimediapräsentation & Gespräch
 Claudia Rankine (JAM/USA): Präsentation zum Festivalthema basierend auf Citizen: An American Lyric (dt. Citizen, Übersetzerin: Uda Strätling, Spector 2018 )
Moderation:  Florian Höllerer (Leiter Literarisches Colloquium Berlin)

Multimediapräsentation in englischer Sprache. Gesprächsdolmetscherin: Laura Scheifinger

Aus dem Blog von Robert Prosser: Einen Sinn für das unerwartet Andere, einen wortwörtlich unter die Haut gehenden Blick bewies auch Claudia Rankine, die zum Abschluss des Abends im Gespräch mit Florian Höllerer in ihr jüngstes Buch Citizen: An American Lyric einführte, letztes Jahr bei Volte Books in deutscher Übersetzung erschienen. War die Angst bei Wannous ein Werkzeug des Regimes, um an der Macht zu bleiben, so zeigt Rankine anhand der gegenwärtigen, gegen die schwarze Bevölkerung der USA gerichteten Rassismen, wie Angst sich über Jahrhunderte verfestigen und zu einer integralen, verschwiegenen Facette der Gesellschaft werden kann

Donnerstag, 28. November 2019

Literaturhaus Wien Zieglergasse 26A, 1070 Wien

Literaturwettbewerb für Schüler/innen
Eine Fachjury – bestehend aus Robert Huez, Leiter des Literaturhauses Wien, Gustav Ernst, Autor und Herausgeber der Literaturzeitschrift kolik, und Zita Bereuter, Leiterin des Literaturressorts bei FM4 und Organisatorin von Wortlaut – ermittelte die drei besten Texte.
Jurybegründung und Preisverleihung: Gustav Ernst
Lesung der Preisträger/innen: Kathy Alram, Martin Mayr, Vivien Daniel


Keine Angst. Eine Schachtel voll Andachtsbildchen
Ausstellungsbeitrag
Präsentation: Teresa Präauer


Rede, Gespräch & Lesung
John Connolly (IRL) hält eine Rede zum Thema „Angst“ mit anschließendem Gespräch. Zum Abschluss liest er die Kurzgeschichte A Dream of Winter
Grußworte: Tom Hanney (irischer Botschafter)
Einleitung: Anne Zauner (Festivalleiterin)
Gespräch: Robert Pimm (GB), Thrillerautor, u. a. von Blood Summit

Rede und Lesung auf Englisch mit deutscher Übersetzung als Projektion auf Leinwand | Übersetzerin: Isolde Schmitt | Gespräch in englischer Sprache

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Die einzige übernatürliche Erfahrung in seiner Umgebung habe er verschlafen, berichtet uns John Connolly am Beginn seiner Rede. Der Bestsellerautor kombiniert Krimi mit übernatürlichen Kräften und erzählt, wie einst das ohrenbetäubende Schnarchen („snoring on an industrial level“) des Vaters, der eigentlich tot und aufgebahrt in der Kirche nebenan lag, ohne erkennbare Quelle die Wände zittern ließ und die Großfamilie aus dem Schlaf schreckte, die die Nacht vor dem Begräbnis zusammen verbrachte.


Buchpräsentation & Gespräch
Joseph Incardona (CH): Derrière les panneaux, il y a des hommes (dt. Asphaltdschungel, Übersetzerin: Lydia Dimitrow, Lenos 2019)
Moderation: Sebastian Fasthuber (Literatur- und Musikkritiker)

Lesung auf Französisch mit deutscher Übersetzung als Projektion auf Leinwand | Dolmetscherin: Isolde Schmitt

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Wie eine Ohrfeige, so physisch hebt jede einzelne der drei Passagen an, die Joseph Incardona aus seinem Roman Asphaltdschungel vorträgt. Jede der drei Figuren dieser drei Passagen konfrontiert uns gleich zu Beginn mit ihrem Körper als nutzlosem, belastendem oder aufdringlichem Etwas.


Buchpräsentation & Gespräch
Grußworte: Yun Jon Seok  (koreanischer Kulturattaché)
Jeong Yu-jeong (KOR): Jong-ui Giwon (dt. Der gute Sohn, Übersetzerin: Kyong-Hae Flügel, Unionsverlag 2019)
Moderation: Sebastian Fasthuber (Literatur- und Musikkritiker)

Lesung auf Koreanisch mit deutscher Übersetzung als Projektion auf Leinwand | Dolmetschung: Kyong-Hae Flügel

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Im anschließenden Gespräch mit Fasthuber, gedolmetscht von der Übersetzerin des Buches Kyong-Hae Flügel, erzählt Yu-jeong vom Prozess der Annäherung an die Figur, davon, dass sie versuchte, als Psychopathin zu leben und zu denken, was bedeute, alles aus der Perspektive von Nützlichkeit oder Schädlichkeit für sich selbst zu betrachten

Freitag, 29. November 2019

Literaturhaus Wien Zieglergasse 26A, 1070 Wien

Der gläserne Übersetzer
Einführung:  Wolfgang Görtschacher (A)
Mit:  Ali Abdollahi (IRN),  Aurélie Maurin (F),  Valentina Di Rosa (I),  Arild Vange (Nor)
Moderation:  Florian Höllerer (Leiter Literarisches Colloquium Berlin)


Kleine Geographie der Angst
Ausstellungsbeitrag
Präsentation:  Kathrin Röggla 


Debatte 1: „Angst und Angstmache“
Mit literarischen Prologen von  Jörg-Uwe Albig und  Sherko Fatah
Es diskutieren:  Jörg-Uwe Albig (D), die österreichische Extremismusforscherin  Julia Ebner und  Sherko Fatah (D/IRQ)
Moderation:  Wolfgang Popp (Journalist und Autor)

Aus dem Blog von Robert Prosser: Eine interessante Diskussion entwickelte sich zwischen Albig und Ebner, als es um die Frage gibt, was ein Unterschied zwischen rechten und linken Terrororganisationen sein könnte. Die Rechten, so Albig, bieten keine Utopie, keine neue Welt, nur den Kampf, die Zerstörung, aus der man siegreich hervorgehen werde. Ebener widersprach: Doch, es gebe überall Utopien, jede Form des Extremismus verspreche eine bessere Zukunft, eine Überwindung der Ängste

Debatte 2: „Angst und Gesellschaft“
Mit Prologen von  Josef Haslinger und  Ariadne von Schirach
Es diskutieren:  Josef Haslinger (A),  Kathrin Röggla (A/D) und  Ariadne von Schirach (D)
Moderation:  Günter Kaindlstorfer (Journalist und Autor)

Aus dem Blog von Robert Prosser: Über Angst zu sprechen, so einer der gezogenen Schlüsse, heißt, die ökonomische Situation mitzudenken. Ängste als Merkmale von Privilegien, von Wohlstand und sozialer Position; je nach gesellschaftlicher Lage verändert Angst ihr Erscheinungsbild. Angst, und darin fanden die drei Autor*innen einen gemeinsamen Nenner, erwächst in der heutigen Zeit auch aus dem Umstand, dass wir uns einen Übergang befinden, einem Zustand zwischen alten und neuen Geschichten.

Samstag, 30. November 2019

Literaturhaus Wien Zieglergasse 26A, 1070 Wien

Präsentation & Gespräch
Olivia Vieweg (D): Endzeit (Carlsen 2018) / Antigone (Carlsen 2019)
Moderation:  Nina Dietrich (Zeichnerin und Illustratorin)

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Die dichte an Undercuts, dicken Kopfhören, Doc Martens und Tatoos ist am Samstag merkbar angestiegen. Ein Hauch rebellischer Nerdigkeit erfrischt die Sitzreihen im Literaturhaus, ganz so wie es einem Comic-Schwerpunkt gebührt. Gleich zu Beginn erwähnt die erste Künstlerin des Tages, die 1987 geborene Olivia Vieweg, dass sie in jüngeren Jahren und auch während ihres Studiums an der Bauhaus-Uni in Weimar überzeugt davon war, dass sie mit ihrer Leidenschaft sicherlich niemals Geld verdienen werde können (etwas, das übrigens auch alle anderen Graphic-Novel-KünstlerInnen sagen werden, die an diesem Tag folgen).


Präsentation & Gespräch
Emily Carroll (CAN): Through the Woods (Faber & Faber 2015) / When I Arrived at the Castle (Koyama Press 2019)
Moderation:  Edda Strobl (Comic-Künstlerin und -verlegerin)

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Barocke Schnörkel, schwarz-weiß-rot, viele Ranken und ein Hauch von Gothic-Ästhetik bestimmen die Projektionen hinter den beiden Frauen. Dann aber wieder ein minimalistisches, weiß und lila gehaltenes Bild einer Stehlampe, dahinter ein Portrait dreier Sessel in einem Rahmen. He’s behind you/by the door/in the spot where you just were/just a moment before – die vier Zeilen sind über das Bild verstreut, in unterschiedlichen Größen, als repräsentierten sie verschiedene Lautstärken oder als würde die sprechende Stimme ihre Position wechseln, den Betrachter umkreisen.


Präsentationen & Gespräch
Joe Sacco (USA/MLT) &  Chris Ware (USA)
Moderation:  Thomas Ballhausen (Literaturwissenschaftler und Autor)

Aus dem Blog von Jakob Kraner: „Joe Sacco (no chance) / Chris Ware (dream on)“ zitiert Festivalleiterin Anne Zauner zur Beginn des Abendblocks des Graphic-Novel-Tages aus ihrer nach den letzten Erich-Fried-Tagen erstellten Wunschliste für das Festival 2019. Doch nun sitzen beide wirklich hier, in der ersten Reihe, und warten auf ihren Auftritt.

Sonntag, 1. Dezember 2019

Literaturhaus Wien Zieglergasse 26A, 1070 Wien

Verleihung des Erich Fried Preises 2019
Begrüßung: Robert Huez (Leiter Literaturhaus Wien)
Vorstellung des Jurors: Susanne Schüssler (Internationale Erich Fried Gesellschaft)
Laudatio: Christoph Hein
Preisverleihung: Jürgen Meindl (Leiter der Sektion für Kunst und Kultur im Bundeskanzleramt)
Rede: Steffen Mensching
Musik: Hans-Eckardt Wenzel

Aus dem Blog von Jakob Kraner: Gar nicht kulturpessimistisch, wie dies vielleicht im ersten Moment anmuten könnte, sondern fundiert und klug verläuft seine Argumentation. Bemerkenswert ist, dass Mensching den Rückgriff auf die Biologie nicht scheut. Er zieht eine Parallele zwischen dem Anstieg der Alzheimer-Erkrankungen und der heutigen Gesellschaft – Alzheimer als Sinnbild kapitalistischer Individualisierung; der Alzheimerkranke habe nichts als die Gegenwart, keine Einbettung in eine Geschichte, keine Gesellschaft, keine Gemeinschaft; „there ist no such thing as society“ sagte bekanntlich Margaret Thatcher, die selbst an Alzheimer starb.