Tag 5
Schwerpunkt Graphic Novel
„Joe Sacco (no chance) / Chris Ware (dream on)“ zitiert Festivalleiterin Anne Zauner zur Beginn des Abendblocks des Graphic-Novel-Tages aus ihrer nach den letzten Erich-Fried-Tagen erstellten Wunschliste für das Festival 2019. Doch nun sitzen beide wirklich hier, in der ersten Reihe, und warten auf ihren Auftritt . Während Zauner spricht, wird man draußen Zeuge eines seltenen Anblicks: Ein Security steht am Eingang des Souterrain des Literaturhauses. Er hat die Anzahl der BesucherInnen im Auge. Ein paar gehen noch, meint er. Schon eine Stunde vor Beginn füllte sich das Literaturhaus, es wird gestanden und am Boden bilden sich eigenmächtig Sitzreihen.
Der dezidierte Fan von und Spezialist für Graphic-Novels und Programm-Mitverantwortlicher bei den Erich-Fried-Tagen Thomas Ballhausen führt die Gespräche. Bevor alle gemeinsam auf die Bühne kommen, sind Einzelgespräche vorgesehen. Den Anfang macht Joe Sacco, gemeinhin bekannt als „zeichnender Journalist“. In seiner Einleitung macht Ballhausen klar, dass Saccos Arbeiten dokumentarisch sind und seine journalistische Herangehensweise in der Tradition eines eingebetteten Journalismus im Stile Hunter S. Thompsons oder Truman Capotes steht. Joe Sacco, der sich seit seinem sechsten Lebensjahr als Comic-Zeichner begriff, aber – genauso wie Vieweg und Carroll am Nachmittag – nie dachte, davon leben zu können, studierte Journalismus. Die darauf folgenden Jobs waren allerdings so mies („soul crushing“), dass er sich wieder dem Zeichnen zuwandte, welches sich daraufhin eher versehentlich mit dem Journalismus vermischte. Den Journalismus betreffend zitiert Sacco sogleich den anfangs bereits erwähnten Hunter S. Thompson herbei und nennt dessen Buch „Fear and Loathing on the Campaign Trail“ als Vorbild – es sei ein wildes Buch und der Berichterstatter Thompson immerzu involviert: Hält er für Bullshit, was jemand sagt, dann nennt er es auch Bullshit. Thompson versuche nicht vorzugeben, dass er objektiv sei. Daran orientiert sich auch Sacco. Es ist eine Illusion von Distanz, die Journalisten mitunter glauben, generieren zu müssen. Reporter seien immer involviert, sagt Sacco und deshalb sei es wichtiger, diese Subjektivität zu markieren, explizit zu machen, anstatt eine künstliche Objektivität aufrecht zu erhalten. So zeichnet Sacco auch sich selbst in seine Comics oder macht, wie im Falle seines Buches „Sarajevo“ (im Original: „Fixer“), eben das Zusammentreffen mit jenen dubiosen Kontaktmännern, auf die Journalisten in Kriegsgebieten angewiesen sind, um Informationen und Einblicke zu bekommen, zur eigentlichen Geschichte. Die Grauzonen werden hier nicht verschleiert.
Wie Sacco nochmals klarstellt, handelt es sich bei seinen Arbeiten dezidiert um Non-Fiction. Alle Zitate sind so exakt wie möglich, er arbeitet mit eigenen und fremden Fotos; nach den Recherchen (seine bekanntesten Arbeiten führten ihn wie gesagt an den Balkan und auch nach Gaza) folgen Monate des Indexierens von Notizen und Journaleinträgen; erst dann folgt ein Script; erst dann wird gezeichnet. Das besondere am Comiczeichnen sei, so Sacco, dass man jeden Moment einfangen könne, auch die Momente des Todes, die der angeblich realitätsgetreuere Film- oder Fototjournalismus nur selten erwischt.
„It all started with my mother“ beginnt der nervöse Chris Ware, der sich Thomas Ballhausens erwartungsvollen Blicken ausgesetzt in einer Psychoanalysesitzung wähnt. Dazu passend und ähnlich erheiternd eröffnet er uns gleich zu Beginn sein Gleichnis auf das Menschsein. Das Buch sei eine Metapher für den Menschen, es habe ein Gesicht, ein Rückgrat, sei drinnen größer als draußen und wirke erstmal wenig interessant, wenn man von außen drauf schaue. Ware begann als Grafiker und sein allererstes Interesse sei herauszufinden, was sich mit dem Medium Buch anstellen lasse. Besonders die Serie „Acme Novelty Library“ testet die Limits dessen, was ein Buch alles sein oder nicht mehr sein kann. (Der Blickfang an diesem Abend – sei es am Büchertisch, aus den Taschen der Gäste am Buffet herauslugend oder im Backstage, wo die MitarbeiterInnen des Festivals eifrig und dezent Signaturen und Widmungen sammeln – ist eine große Schachtel, die an ein Brettspiel erinnert. Im Inneren finden sich Chris Wares Comics „Building Stories“, in verschiedensten Formaten, hoch oder quer, broschiert, gefaltet.) Betrachtet man das während des Gesprächs projizierte Material, so fällt auf, dass Ware nicht nur in klassischen Comic-Panels arbeitet (die bei ihm ganz besonders symetrisch, manchmal nahezu fraktal sind), sondern seine Comics bisweilen in der Form von Schaltplänen zeichnet – in der Kolik-Spezial-Ausgabe zu den Erich-Fried-Tagen findet sich beispielsweise jene Doppelseite, die sich mit dem Wunsch der depressiv im Bett liegenden Protagonistin beschäftigt, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Wie eine Art Regelkreis führen die Worte – ihre Gedanken – in der Form von Leitungen oder Pfeilen, von kleinen Bildern und anderen grafischen Elementen durchbrochen, in verschiedene Richtungen oder in endlose Loops. Was auf den ersten Blick – wie Wares Arbeiten generell – wie ein verspielter Hingucker aussieht, wie ein Wimmelbuch für Kinder, ist beim genaueren Hinsehen schwindelerregend und bedrückend. Genau darum geht es Ware, wie er später im Gespräch herausstreicht: Er versucht in seinem Stil so klar wie möglich zu sein, damit die Story so seltsam und verwirrend sein kann, wie er die Realität eben erlebe. Das Leben sei „strange and painful“, sagt er, jedoch mit einem Hauch Selbstironie, wie es seine Art zu sein scheint. So avantgardistisch wie es da zugeht, so wichtig ist Chris Ware das Unprätentiöse am Comic und die Tatsache, dass dieses Genre nicht mit Theorie überfrachtet ist – im Gegensatz zur modernen Kunst. Seine Zeit an der Uni beschreibt Ware als Qual; gequält vom Gefühl, zu dumm dafür zu sein; gequältvon einer von der ProffessorInnenenschaft eingeforderten Abstraktheit („no sir, you can’t do that, that’s illustration“); oder von der Phrase „painting is dead“, während man gleichzeitig malen sollte – „I can draw a cat, what’s wrong about that?“ zitiert Ware die Gedanken seines verzweifelten jüngeres Ichs. Neben dem entspannenden Nischendasein abseits der akademischen Kunst war es auch die Vervielfältigbarkeit der Arbeiten, die ihn am Comic angesprochen hat. Er möchte etwas produzieren, bei dem man sich nicht schlecht fühlt, wenn man es wegwirft (oder vielleicht sogar besser) illustriert Ware gewohnt schwarzhumorig.
Beim abschließenden gemeinsamen Gespräch wirken der scherzende Ware und der ernstere Sacco so eingespielt und auch physiognomisch so sehr einander ergänzend, als wären sie als Buddy-Duo für einen Film oder eben einen Comic ersonnen worden
. Beide sparen nicht mit Lob an der Arbeitsweise des jeweils anderen und betonen, wie wenig sie in der Lage wären, so wie der jeweils andere zu arbeiten. Sie berichten von ihren weiteren Plänen: Sacco beschäftigt sich mit Aufständen in Indien, er habe schon begonnen zu recherchieren, sich aber auch einem anderen Langzeitprojekt vermehrt zugewandt, einem Buch über die Rolling Stones, dass er bisher nur nebenbei, als „Samstagsprojekt“ und Ableknung vom journalistischen Arbeiten, betrieben habe. Ware hält sich vage, sein weiteres Vorhaben sei ganz einfach, mehr Bücher zu machen. Während Sacco vor allem den Schaffensprozess genießt, erklärt Ware dem Publikum, dass das Comiczeichnen für ihn durchaus keine angenehme Arbeit sei, sondern vielmehr von ständigen Zweifeln begleitet, schwächt aber sogleich ab: Glück und Freude seien sowieso überbewertet.